Verlorene Kindheit: Kindheitstraumen und deren Folgen

Ein Trauma wird durch eine extreme – seelisch und körperlich nicht aushaltbare – Schmerzsituation ausgelöst, der man hoffnungslos ohne Fluchtchance ausgeliefert ist.

Während bei Erwachsenen die auslösenden Ereignisse meist stärkerer Art sein müssen (wie bei Unfällen, Verbrechen, Katastrophen, Folter) reichen bei Kindern neben schwerwiegenden körperlichen oder sexuellen Missbrauchserfahrungen oft auch schon ‚sehr viel geringere‘ Anlässe, um ebenfalls traumatisiert zu werden:  so z.B. im Säuglings- und Kleinkindalter ein Alleinlassen oder Vernachlässigung, anhaltende Ruhigstellung, extrem heißen oder kalten Temperaturen ausgesetzt sein, plötzliche, laute Geräusche oder auch Geburtsstress (dieser kann sowohl für Mutter und Kind traumatisch sein).

Bei etwa sieben bis fünfzehn Prozent der Kinder unseres Landes war beziehungsweise ist das Erleben einer  solchen Traumasituation eine Erfahrung, die sich im Alltag abgespielt hat (Bauer).

Während der Traumaentstehung durchläuft der Mensch schmerzhafte Erfahrungen auf zwei Ebenen:

  • Auf der Ebene des Körpers
  • Auf der Ebene der Seele

Diese werden im Gehirn in verschiedenen Bereichen registriert. Ich möchte hier die Reaktion des Gehirns auf den unerträglichen seelischen Schmerz – und wie es schließlich zu den typischen Traumasymptomen kommt – näher beschreiben :

Um eine traumatische Situation überhaupt ertragen zu können, hilft sich das Gehirn mit einem Notfallmechanismus, der das emotionale/seelische Überleben in der unausweichlichen Situation ermöglicht: die Teile des Gehirns, die für die Wahrnehmung des seelischen und emotionalen Schmerzes zuständig sind (Amygdala und Gyrus cinguli), werden quasi abgeschaltet. Dies funktioniert durch die massenhafte Bildung schmerzstillender und betäubender Substanzen in diesen Bereichen durch diese Bereiche selbst (es werden endogene Opioide und Endorphine gebildet). In der Folge nimmt das Gehirn keinen emotionalen/seelischen Schmerz wahr. Und da diese Bereiche im Normalfall das Selbstgefühl vermitteln, wird also das, was wir als unser Selbst erleben, in der Traumasituation abgetrennt.

Das Ergebnis ist, dass die (körperlichen) Erfahrungen quasi abgetrennt vom Ich erlebt werden. Und dies bezeichnet man als Dissoziation.

Bei leichten Formen der Dissoziation entsteht das Gefühl, nicht mehr gut im Kontakt mit dem eigenen Körper zu stehen. Bei schweren Formen der Dissoziation gibt es meist keinen Kontakt mehr zum eigenen Körper, es treten Lähmungs- oder Teillähmungserscheinungen auf, das Gefühl innerlich leer zu sein, keinen emotionalen Kontakt zu Mitmenschen zu haben (bei gleichzeitig starken Einsamkeitsgefühlen), Taubheitsgefühle.

Die schwersten Formen traumatisch bedingter Dissoziationen können sogar zur Abspaltung eigener Persönlichkeiten führen (nach wiederholten Schwersttraumatisierungen). Dies kann zur Bildung der dissoziativen Identitätsstörung (multiple Persönlichkeitsstörung) führen.

Dissoziative Phänomene sind also das Kernsymptom traumatischer Erfahrungen. Sie sind ein zentrales Symptom bei der Borderline-Störung, treten bei Essstörungen und auch bei anderen Erkrankungsbildern auf. Begleiterkrankungen sind Depressionen, Angststörungen, Flashbacks, Albträume, erhöhte Stresslabilität.

Die Schwierigkeit an einmal erlebten Traumen besteht darin, dass das Gehirn derart sensibilisiert ist, sodass fortan kleinste Ähnlichkeiten von Alltagssituationen oder Personen zur Erinnerung an die traumatische Erfahrung reichen und es somit immer wieder und immer schneller zum Auftreten der dissoziativen Phänomene kommt, die die Lebensqualität enorm herabsetzen.

Die Bearbeitung erlebter Traumen ruft häufig erneut die enorm schmerzhaften Erinnerungen hervor – mit den begleitenden Einschränkungen durch die Dissoziation. Daher  müssen erlittene Traumatisierungen auf jeden Fall über einem längeren Zeitraum mit kundigen Trauma-Therapeuten bearbeitet werden, um die aktuelle Gesundheitsproblematik zu verbessern. Hier ist Selbsthilfe eher schädigend. Ich empfehle dringend, sich Therapeuten anzuvertrauen, die auf diesem Gebiet versiert sind! Stichworte für die Suche geeigneter Traumatherapeuten sind z.B. EMDR, Somatic experience®, wingwave u.a.

©Nicole Teschner – 2013

©Foto: Clarini photoxpress.com

Start ‚Verlorene Kindheit‘

verlorene KindheitViele Probleme, die Menschen im Erwachsenenleben haben, beginnen in der Kindheit. Diese entstehen häufig als Folge einer dadurch bedingten erhöhten Stressanfälligkeit aufgrund schwieriger Kindheitsereignisse oder auch der Verdrängung von Kindheitsthemen, -traumen oder -gefühlen.

Daher habe ich mich dazu entschlossen, in der nächsten Zeit eine Serie von Artikeln zu veröffentlichen, die hilfreich für Personen sind, die unter ‚besonderen‘ Umständen aufgewachsen sind.

Zunächst ist mir jedoch wichtig zu sagen:

  1. es gibt faktisch keine Eltern, die alles richtig machen in der Erziehung und auch keine Erwachsenen, die nicht irgendetwas nennen könnten, was weniger vorteilhaft in ihrer Erziehung gelaufen ist.
  2. Es ist schlimm, was manchen Kindern widerfährt und dass sie davon bis ins Erwachsenenalter belastet bleiben. Vieles ist sicher sehr zu verurteilen. Doch wir dürfen dabei niemals vergessen, dass in vielen Fällen oft auch die Eltern ähnliche Negativerfahrungen als Prägung in Ihrer Kindheit erlebt haben und das manches über Generationen hinweg – unerlöst – weitergegeben (weitergelebt) wird. Das entschuldigt nichts, ich weiß. Aber erklärt zumindest ein wenig, warum es so war wie es war und trägt vielleicht irgendwann ein bisschen dazu bei, nachträglich mehr Frieden mit der Gesamtsituation zu finden.

Es soll mir hier um Familien- und Persönlichkeitsmuster gehen, die langfristig schädlichen Einfluss auf die Entwicklung der Kinderpsyche haben und die manchem ein Stück (oder vollständig) die glückliche Kindheit geraubt haben.

Sehr wichtig sind Schwierigkeiten, die Trauma und Vernachlässigung bei Kindern auslösen, körperliche und sexuelle Gewalt und es sind auch sehr viele, sehr gute Bücher zu diesen Themen erschienen. Daher folgen hier von meiner Seite noch Buch- und Linktipps zum Weiterlesen.

Ich möchte auch auf Muster und ‚pädagogische‘ Strukturen eingehen, über die Betroffene im allgemeinen immer noch schamhaft schweigen oder deren Destruktivität einem Betroffenen überhaupt noch nicht bewusst geworden sind.

Ich möchte Sie mit dieser Serie zum Nachdenken, zum Nachlesen,  zur Selbstreflexion,  zum Bewusstmachen anregen. Vielleicht kann ich dadurch einen Stein für Sie ins Rollen bringen, der von Ihrer Gegenwartsproblematik eine Brücke zurück zu Ihrer Kindheit schlägt und dadurch ein fehlendes Puzzleteil in Ihrem Genesungsprozess liefert. (Wenn Sie bei einem der Themen Hilfe benötigen, kann ich Sie durch ein Coaching wirksam unterstützen. Gerne können Sie mir eine Anfrage zu Ihrer Thematik schicken!)

Ich möchte Sie hier auch auf andere andere Seiten im Internet hinweisen und hilfreiche Bücher vorschlagen.

Los geht es mit der Einführung. Danach wird sich der Bogen spannen über die Themenkomplexe

  • Narzissmus und psychische Gewalt
  • Die Folgen körperlicher Gewalt/Bestrafungen
  • Traumabearbeitung
  • Abschluss der Serie

Unter dem Menüpunkt ‚verlorene Kindheit‘ werden Sie fortan diesen Text und die Links zu den einzelnen Artikeln gesammelt aufrufen können.

©Nicole Teschner – 2013

Foto: ©Terry McClean – Photoexpress.com