Antonovsky, das Kohärenzgefühl und die Ursache von Burnout

Der Soziologe Aaron Antonovsky hat ein anderes Prinzip in der Therapie bzw. im Schutz vor Krankheiten entwickelt. Während lange Zeit untersucht wurde, was Kranke krank und wieder gesund macht (die Lehre der Pathogenese), hat er sich dagegen gefragt, was Gesunde denn gesund hält. Und so begründete er durch seine Neugier das neue Feld der Salutogenese.

Antonovsky fand durch seine Studien heraus, dass Menschen immer dann gesund bleiben, wenn Sie ein Kohärenzgefühl in allen Dingen entwickeln, die sie tun und erleben. Dieses setzt sich zusammen aus einem

  • Gefühl von Handhabbarkeit und einem
  • Gefühl von Verstehbarkeit und einem
  • Gefühl der Sinnhaftigkeit.

Sind diese drei Einzelgefühle gegeben, stellt sich das Kohärenzgefühl ein und ein Mensch bleibt trotz seines Tuns gesund.

Wendet man Antonovskys Lehren nun auf einen Burnout an, wo Betroffene den Gesundheitszustand bereits mehr oder weniger stark verlassen haben, kann man sein Prinzip umdrehen und die Ursache(n) hinter dem Burnout (wenn auch erst einmal grob-geclustert) herausfinden. Dazu lässt sich fragen:

  1. Kann ich meine Situation noch handhaben?
  2. Verstehe ich meine Situation noch?
  3. Erlebe ich noch Sinn hinter all dem, was ich tue?

Genauer könnte man z. B. für den beruflichen Bereich fragen:

  • Kann ich das, was ich alles bewerkstelligen soll, noch handhaben? Oder kann ich es nicht (mehr), weil es z.B. viel zu viel (geworden) ist? Ist der Arbeitsaufwand zu hoch? Fühle ich mich mit den Aufgaben, die mir gestellt werden, überfordert? Sind die Vorgaben, die ich bekomme, zu straff und überhöht, sodass ich schon dauerhaft mehr als an meine Grenzen meiner Leistungsfähigkeit gekommen bin? Bürde ich mir als einzelne Person einfach zu viel auf? Habe ich das Gefühl, dass das, was ich leisten soll, für mich kontrollierbar ist?

Fragen, ob die beruflichen Anforderungen noch verstehbar sind, sind z. B.:

  • Verstehe ich überhaupt noch all das, was ich da tue oder tun muss? Sind die Prozesse so unübersichtlich geworden, sodass ich überhaupt nicht mehr weiß, was ich eigentlich alles erledige, ob ich überhaupt etwas erreicht habe oder jemals erreichen kann? Weiß ich überhaupt noch, mit wem ich es konkret zu tun habe? Kann ich Abläufe und Prozesse noch überblicken? Erscheinen mir Vorgaben wie reine Willkür und Drangsalierung? Wer stellt die Spielregeln auf? Bin ich nur Statist oder kann ich auch selbst gestalten?

Und zuletzt kann auch nach dem gefühlten Sinn hinter dem Tun gefragt werden:

  • Sage ich zu dem, was ich tue, innerlich noch deutlich ‚Ja, ich will‘? Oder ist da eher ein ‚eigentlich will ich gar nicht mehr, aber leider …‘? Habe ich das Gefühl, dass das, was ich tue, meinen eigenen Zielen dienlich ist oder habe ich längst andere Ziele, nur bin ich auf den Job des Geldes wegen angewiesen? Widerspricht meine Arbeit deutlich meinen wahren Bedürfnissen und Neigungen und würde ich viel lieber etwas anderes machen, wenn ich könnte? Weiß ich noch, wozu ich das eigentlich alles mache? Würde der Welt etwas Wichtiges fehlen, wenn ich jetzt meinen Job aufgäbe?

Sich diese Fragen zum eigenen Beruf zu stellen, kann sehr viel für Sie aufdecken. Und wenn Sie bereits in einen Überlastungszustand gekommen sind, werden Sie dadurch erste Ideen bekommen, warum.

Aber auch in jedem anderen Bereich kann man die Handhabbarkeit, die Verstehbarkeit und die Sinnhaftigkeit hinterfragen, um Störfelder aufzuspüren.

Wie wär es denn einmal, wenn Sie die Fragen auf Ihre private Situation anwenden?

©Nicole Teschner – 2022

Der wohl gewichtigste Grund, warum Stigmatisierung unterbleiben sollte

copyright: joef – fotolia

Suizide sind ein schwieriges Thema.

Leider suizidieren sich weltweit immer noch zu viele Menschen. Für Hinterbliebene ist jeder Suizid sehr belastend. Denn immer bleibt neben der entstandenen Lücke durch das Fehlen des verstorbenen Menschen auch die Frage nach dem ‚warum hat er/sie das getan?‘ zurück.

Manchmal suizidieren sich Menschen, ohne dass das Umfeld vorher Hinweise bekommt, die ein Eingreifen und Hilfestellung vielleicht noch möglich gemacht hätte. Hier kommt dann zu der Frage nach dem ‚warum‘  auch noch die belastende Frage nach dem: ‚Warum hat er/sie nichts gesagt? Ich  hätte doch helfen wollen/können!‘ hinzu.

Sicherlich haben Suizidenten ganz verschiedene Motive, warum sie sich das Leben nehmen und auf welche Art und Weise sie das tun. Und manche Suizidenten planen ihren Suizid absichtlich so, dass das Umfeld vorher keine Hinweise auf ihre Absichten bekommt –eben damit niemand sie davon abhalten kann.

Doch es gibt auch Suizidenten, die vorher Hinweise geben: Oft ‚nur leise‘, am Rande, unauffällig:

Wenn wir überlegen, warum dies wohl ‚nur leise‘, ‚am Rande‘, ‚unauffällig‘, ‚zaghaft‘ geschieht, finden wir sicherlich auch wieder verschiedene Motive:

Manchmal reicht vielleicht die Kraft bei diesen Menschen einfach nicht mehr aus, um ‚lauter‘ auf ihre drängenden Probleme aufmerksam zu machen. Manchmal könnte es so sein, dass sie sich von ihren schüchternen oder nur noch schwachen Hilferufen sowieso keine Hilfe mehr erhoffen, weil sie in der Vergangenheit genau diese Erfahrung gemacht und inzwischen resigniert haben….

Doch manchmal könnte es auch so sein, dass dieses ‚nur leise Hinweise geben‘ deswegen ‚leise‘ geschieht, weil die Suizidgefährdeten ‚Angst vor Zurückweisung‘, vor ‚belächelt-werden‘, vor ‚sowieso nicht ernst-genommen werden‘ haben…und um ihre eh schon als sehr verfahren erlebte Lage durch die befürchtete Gleichgültigkeit/das  Unverständnis von Mitmenschen nicht noch schlimmer zu machen, versuchen sie eben nur ganz vorsichtig – eben leise! – auf ihre Lage und ihre Verzweifelung aufmerksam zu machen…

Was wäre wohl, wenn wir diesen Menschen – wie klein oder wie groß dieser Anteil auch immer sein mag – das Vertrauen geben könnten, nicht belächelt, nicht stigmatisiert und nicht abgewiesen, sondern ernst genommen und verstanden zu werden, sodass sie ihre Absichten ‚lauter‘ äußern könnten, um Hilfe zu bekommen?

Wie viele Suizide könnten wir in Zukunft wohl einfach dadurch verhindern, dass wir einen allgemein akzeptierten und verstandenen und hilfreichen Boden für psychisch Notleidende bieten?

Dies ist der wohl gewichtigste Grund, warum es absolut notwendig ist, jeden Menschen mit psychischen Erkrankungen und Symptomen ernst zu nehmen und zu verstehen und endlich die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen zu beenden! Abwertende Bemerkungen sollten stets unterbleiben und ALLE sollten sich bemühen, Betroffenen das Vertrauen zu geben, auch ‚laut‘ auf sich und ihre Probleme aufmerksam machen zu dürfen!

…denn denken Sie immer daran: Sie wissen nie, wer und wie viele ihrer Lieben sich aktuell ebenfalls nicht traut, ‚laut‘ nach Hilfe zu rufen und daher schamhaft schweigt!

©Nicole Teschner, 2015

Fotocopyright: ©joef – fotolia auf photoxpress.com

Neue Serie: Psychische Erkrankung – stoppt die Stigmatisierung!

Man thinking in small chair
Paul Clarke – photoxpress.com

Ich hatte unlängst eine Diskussion: Mein Gesprächspartner vertrat die Meinung, dass Menschen, die einmal psychisch krank waren auch immer psychisch krank bleiben würden bzw. wieder werden…(nebenbei bemerkt: er ist nicht ‚vom Fach‘, sondern ganz einfach ein Mensch, der sich seine (falsche!) Meinung über Menschen mit psychischen Erkrankungen gebildet hatte…). Ich widersprach ihm sehr und sagte ihm, dass er damit eine große Halbwissenheit zu psychischen Erkrankungen hat, komplett in Schubladen denkt und mit falschen Vorurteilen durchs Leben läuft.

Und auch, wenn ich ihm seine Aussage komplett widerlegen konnte, bin ich doch immer noch geschockt, wie viele Menschen heute noch nicht verstanden haben, dass es nicht nur unfair und gemein ist, Menschen mit psychischen Erkrankungen zu stigmatisieren, sondern auch kontraproduktiven Zusatzstress für diese ohnehin schon sehr belasteten Menschen bedeutet.

Und daher habe ich mich nun entschieden, in den nächsten Wochen hier eine Artikelserie zu veröffentlichen, um das Verständnis für Menschen mit psychischen Erkrankungen zu verbessern und Betroffenen und Angehörigen zu helfen, ihre Lage als weniger aussichtslos zu betrachten, als Menschen mit derartigen Meinungen sie glauben machen (oder machen wollen).

Ich möchte mit den Artikeln in den nächsten Wochen verdeutlichen, dass

  • niemand den ersten Stein werfen möge…denn keiner ist vor psychischen Erkrankungen gefeit (und zwar auch nicht vor den rein psychisch bedingten psychischen Erkrankungen!)
  • psychische Erkrankungen immer eine oder mehrere Ursachen haben – nur sind diese manchmal nicht so offensichtlich wie in den Fällen bei psychischen Störungen, wo der Arzt eine körperliche Ursache nachweisen und im Idealfall auch beheben kann,
  • es nicht bedeutet, wenn man einmal durch psychische Ursache psychisch erkrankt war, dass das Schicksal damit unheilvoll besiegelt ist und man immer psychisch erkrankt bleiben wird oder immer wieder erkranken muss (eine gute Auf- und Bearbeitung der psychisch bedingten psychischen Störung vorausgesetzt)
  • dass es keinen Grund für Scham bei Betroffenen gibt

Ich hoffe, dass ich einen guten Beitrag damit gegen die immer noch herrschende Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen leisten kann und Diskussionen, wie ich sie führen musste, damit seltener werden!

Ich wünsche mir sehr, dass Sie die kommende Serie fleißig mitlesen werden, viele Erkenntnisse für sich selbst und die Menschen in Ihrer Umgebung sammeln, eine andere Sicht auf psychische Erkrankungen und Menschen mit psychischen Erkrankungen bekommen werden und die Artikel fleißig verbreiten und teilen werden!

Herzlichst,

Nicole Teschner

 

©Nicole Teschner, 2015