Nicht-Nein sagen können und sich nicht abgrenzen zu können ist immer noch einer der großen „Volkskrankheiten“ hinter Stress, Burnout, Erschöpfung und Überlastung.
Weil dieses Thema so wichtig ist, gibt es dazu demnächst von mir „Fein mit NEIN! – Das Buch zum Nein sagen“. Momentan arbeite ich fleißig daran und es ist auch schon sehr weit gediehen.
Da ich wie immer tief in das Muster und vor allem in die Ursachensuche gehe, um diese aufzulösen, wird dies erneut ein Buch, das wirkt. Lassen Sie sich überraschen, wenn ich Sie damit demnächst erfolgreich an die Hand nehmen werde und zum Neinsagen-Profi ausbaue! Ich freue mich darauf!
Klappentext:
Viele Menschen haben ein großes Problem damit, an sinnvollen Stellen ihres Lebens Nein zu sagen. Selbst bei ungesunden Anforderungen und starker Überlastung sind sie in einer Dauer-Jasagen-Schleife gefangen, weil verschiedenste Gründe verhindern, dass ein Nein über Ihre Lippen kommt. Auf Dauer ist das jedoch ungesund und dazu überaus anstrengend.
Doch immerzu Jasagen muss nicht sein:
Dieses Buch zeigt Ihnen, warum Sie immer wieder Ja sagen müssen und hilft Ihnen, dies abzustellen. Zusätzlich gibt es Ihnen erfolgreiche Techniken zum Neinsagen an die Hand, um bald zum Neinsagen-Profi zu werden. Am Ende erhalten Sie Ihre Wahlfreiheit zurück und können bald ganz nach Ihren Wünschen selbstbewusst auch Nein sagen.
PS: @mindquieting_daily ist meine Instagramseite, wo ich täglich neue Coachingimpulse gebe
Jahrzehntelang haben sich klug-rauchende Köpfe aus den Bereichen der Verhaltensgenetik, der Molekulargenetik, der Hirnentwicklungsforschung und der Entwicklungspsychobiologie gestritten, ob es denn nun die Gene sind, die einen Mensch prägen oder doch eher Umwelt und Erziehung? Viele, viele schöne Studien sind dazu gemacht worden und hurra: Alle sind immer noch auf keinen Nenner gekommen und mit der Frage ganz und gar nicht im reinen.
Im Gegenteil, vielmehr kristallisiert sich immer mehr heraus, was beiden Lagern wohl nicht gefällt:
Umwelt und Gene haben beide Einfluss darauf, ob „aus einem Menschen etwas wird“ oder nicht.
Und noch weniger überraschend: Sie beeinflussen sich sogar wechselseitig. Viel eher ist es nämlich so, dass beide Bereiche „über die Entwicklung hinweg miteinander tanzen, um in einigen Fällen dazu zu führen, die Verwundbarkeit des anderen zu kompensieren und in anderen Fällen die Auswirkungen des anderen zu potenzieren.“ (aus „The Nature-Nurture Debate and Public Policy“, Kenneth A. Dodge, Merrill Palmer Q, Wayne State Univ. Press, 2004 Oct 1;50(4):418-427. doi: 10.1353/mpq.2004.0028.).
Lange Zeit haben also die Verfechter der verschiedenen Lager intensiv intellektuellen Krieg geführt und dabei das längst Offensichtliche aus den Augen verloren:
Denn stellen Sie sich dazu zwei Jungbäume vor: Der eine hat einen kräftigen, bereits verholzten Stamm und starkes Wurzelwerk und der zweite einen dünnen, noch flexiblen Stamm und ebenfalls gutes Wurzelwerk. Wenn beide nun einem Sturm ausgesetzt sind, wird der Baum mit dem kräftigen Stamm definitiv einen Vorteil haben. Kommt es aber zu Dauerwind, so wird sich der Baum mit dem flexiblen Stamm sich eher mit dem Wind neigen, um nicht zu stürzen. Der andere dagegen droht entwurzelt zu werden. Wenn der kräftige Baum wenig Nährstoffe erhält, wird er verkümmern. Während der andere Baum, wenn er viel Nährstoffe bekommt, zu einem prächtigen Baum gedeihen wird.
Und ganz genau so einfach verhält es sich bei der Entwicklung von Menschen auch:
Sind die Bedingungen und die Umwelt günstig, kann ein Mensch auch mit „schlechten Genen“ gedeihen und umgekehrt auch trotz „guter Gene“ verkümmern.
Natürlich spielen für die Entwicklung eines Menschen noch weit mehr Faktoren eine Rolle als die reine Erziehung – was manchen auch wohl das Leben rettet. Auch die gelebte Umwelt beeinflusst enorm, wie ein Mensch einst geartet sein wird. So kann z. B. ein Kind mit großen Lernschwierigkeiten noch sehr fit für das Leben gemacht werden, wenn es entsprechend gut gefördert wird. Es ist so, wie es einst Otto Weiß formulierte:
Das Leben beseitigt manchen Fehler in der Erziehung – und manchen Vorzug in der Erziehung auch.
(leicht angepasst nach Otto Weiß)
Die Entwicklung eines Menschen verhält sich also wie ein Orchester: Spielt alles gut zusammen, kann einst die schönste Sinfonie gespielt werden. Wenn nicht, entsteht nur ohrenbetäubender Lärm…
Aber auch das lässt sich dank der Neuroplastizität (flexiblen Veränderbarkeit) des Gehirns oft noch wieder verändern.
Und Rand-Fakt:
Fühlen sich Kinder durch ihre Umgebung wenig unterstützt und durch die Umgebung sogar existenziell bedroht, reifen Kinder schneller und kommen eher in die Pubertät, um schneller eigenständig zu sein (d. h. um der Bedrohung bald entgehen und sich trotz allem noch vermehren zu können). Ist die Umgebung dagegen sicher und wohl nährend, werden Kinder sich bei der Reifung Zeit lassen, um sich hochwertiger zu entwickeln und bei der Partnerwahl mehr auszusuchen (Ellis BJ, Bates JE, Dodge KA, Fergussen DM, Horwood LJ, Pettit GS, Woodward L. Does early father absence place daughters at special risk for early sexual activity and teenaged pregnancy? Child Development. 2003;74:801–821).
Zusammenfassend könnte man also auf die Idee kommen, dass es wohl mehr um das Überleben mit unserem immer noch steinzeitlichen Gehirn geht als um die Eitelkeit von Forschern...
Der Soziologe Aaron Antonovsky hat ein anderes Prinzip in der Therapie bzw. im Schutz vor Krankheiten entwickelt. Während lange Zeit untersucht wurde, was Kranke krank und wieder gesund macht (die Lehre der Pathogenese), hat er sich dagegen gefragt, was Gesunde denn gesund hält. Und so begründete er durch seine Neugier das neue Feld der Salutogenese.
Antonovsky fand durch seine Studien heraus, dass Menschen immer dann gesund bleiben, wenn Sie ein Kohärenzgefühl in allen Dingen entwickeln, die sie tun und erleben. Dieses setzt sich zusammen aus einem
Gefühl von Handhabbarkeit und einem
Gefühl von Verstehbarkeit und einem
Gefühl der Sinnhaftigkeit.
Sind diese drei Einzelgefühle gegeben, stellt sich das Kohärenzgefühl ein und ein Mensch bleibt trotz seines Tuns gesund.
Wendet man Antonovskys Lehren nun auf einen Burnout an, wo Betroffene den Gesundheitszustand bereits mehr oder weniger stark verlassen haben, kann man sein Prinzip umdrehen und die Ursache(n) hinter dem Burnout (wenn auch erst einmal grob-geclustert) herausfinden. Dazu lässt sich fragen:
Kann ich meine Situation noch handhaben?
Verstehe ich meine Situation noch?
Erlebe ich noch Sinn hinter all dem, was ich tue?
Genauer könnte man z. B. für den beruflichen Bereich fragen:
Kann ich das, was ich alles bewerkstelligen soll, noch handhaben? Oder kann ich es nicht (mehr), weil es z.B. viel zu viel (geworden) ist? Ist der Arbeitsaufwand zu hoch? Fühle ich mich mit den Aufgaben, die mir gestellt werden, überfordert? Sind die Vorgaben, die ich bekomme, zu straff und überhöht, sodass ich schon dauerhaft mehr als an meine Grenzen meiner Leistungsfähigkeit gekommen bin? Bürde ich mir als einzelne Person einfach zu viel auf? Habe ich das Gefühl, dass das, was ich leisten soll, für mich kontrollierbar ist?
Fragen, ob die beruflichen Anforderungen noch verstehbar sind, sind z. B.:
Verstehe ich überhaupt noch all das, was ich da tue oder tun muss? Sind die Prozesse so unübersichtlich geworden, sodass ich überhaupt nicht mehr weiß, was ich eigentlich alles erledige, ob ich überhaupt etwas erreicht habe oder jemals erreichen kann? Weiß ich überhaupt noch, mit wem ich es konkret zu tun habe? Kann ich Abläufe und Prozesse noch überblicken? Erscheinen mir Vorgaben wie reine Willkür und Drangsalierung? Wer stellt die Spielregeln auf? Bin ich nur Statist oder kann ich auch selbst gestalten?
Und zuletzt kann auch nach dem gefühlten Sinn hinter dem Tun gefragt werden:
Sage ich zu dem, was ich tue, innerlich noch deutlich ‚Ja, ich will‘? Oder ist da eher ein ‚eigentlich will ich gar nicht mehr, aber leider …‘? Habe ich das Gefühl, dass das, was ich tue, meinen eigenen Zielen dienlich ist oder habe ich längst andere Ziele, nur bin ich auf den Job des Geldes wegen angewiesen? Widerspricht meine Arbeit deutlich meinen wahren Bedürfnissen und Neigungen und würde ich viel lieber etwas anderes machen, wenn ich könnte? Weiß ich noch, wozu ich das eigentlich alles mache? Würde der Welt etwas Wichtiges fehlen, wenn ich jetzt meinen Job aufgäbe?
Sich diese Fragen zum eigenen Beruf zu stellen, kann sehr viel für Sie aufdecken. Und wenn Sie bereits in einen Überlastungszustand gekommen sind, werden Sie dadurch erste Ideen bekommen, warum.
Aber auch in jedem anderen Bereich kann man die Handhabbarkeit, die Verstehbarkeit und die Sinnhaftigkeit hinterfragen, um Störfelder aufzuspüren.
Wie wär es denn einmal, wenn Sie die Fragen auf Ihre private Situation anwenden?
Menschen, die Symptome wie Depressionen, Ängste, Zwänge oder psychosomatische Beschwerden entwickelt haben, sind nicht nur durch diese Symptome selbst belastet, sondern werden häufig auch noch stigmatisiert. Denn immer noch gibt es Menschen, die derartige Symptome bei anderen lapidar kommentieren mit: ‚Der/die ist nicht normal!‘, ‚Der/die hat…(Depressionen, Ängste, Panik etc.)‘ mit Effekt-heischendem ‚der ist ja irre‘-Ausdruck…
All diese dürfen Sie gerne fragen, ob sie einen Menschen auch als ‚nicht-normal‘ abstempeln würden, der nach einem Unfall wegen eines gebrochenen Beines humpelnd vorübergeht…? Falls nicht, dann erklären Sie ihm gerne, dass bei psychischen Erkrankungen dasselbe Ursache-Wirkung-Prinzip wie bei einem Beinbruch gilt:
In diesem Beispiel habe ich bis jetzt erst einmal nur Fälle genannt, wo klar nachweisbare körperliche Ursachen psychische Symptome auslösen. Und wenn diese gefunden werden, ist die Akzeptanz für die psychischen Symptome bei den meisten Menschen auch gleich da und Kommentare wie oben unterbleiben.
Doch was ist, wenn der Arzt keine Stoffwechselstörung, organische Störung o.ä. finden kann und es keine Hirnverletzung gibt? Heißt das dann, dass es keine Ursache gibt, die die Wirkung (das Auftreten von psychischen Symptomen) rechtfertigt?
Und hier kommt von mir ein ganz klares NEIN!
Tag für Tag stelle ich bei meiner Arbeit fest, dass man für JEDES Symptom auch eine Ursache finden kann: jedes psychische Symptom (sofern eben keine körperlichen Ursachen vorliegen) ist eine Antwort auf das Leben, dass der Patient bis zu unserem aktuellen Gespräch hinter sich gebracht hat.
Manchmal ist es die Antwort auf das aktuelle Leben, oft eine Antwort auf das Leben in der Kindheit oder die Antwort auf isolierte Erfahrungen aus Kindheit/Vergangenheit/ jüngster Vergangenheit.
Vielfach lassen sich bei Auftreten solcher Symptome dann auch missglückte Bindungen oder Bindungserfahrungen zu Vater oder Mutter (oder auch beiden) oder anderen nahe stehenden Personen finden, emotionale und körperliche Grenzüberschreitungen oder traumatische Erlebnisse, die nicht verarbeitet wurden.
Und daher ist das Erste, was ich Patienten oft vermittele, genau dieses Prinzip: dass es keinen Anlass zur Scham gibt, welche die Patienten sehr häufig anfangs sehr stark empfinden, weil sie sich stigmatisiert fühlen durch die äußere Meinung und anfangen zu glauben, sie wären tatsächlich ‚irgendwie nicht normal‘. Sondern dass es in ihrem bisherigen Leben irgendwann einen oder mehrere ‚ biografischen Unfälle‘ gegeben hat, die nun zu diesen Symptomen führen – nur dass die erlittenen seelischen Schmerzen sich erst jetzt auf diese besondere Art und Weise bemerkbar machen, damit sich der vor mir sitzende Mensch endlich der Wunden widmet und dafür sorgt, dass sie geheilt werden!
Dies erleichtert viele Patienten sofort sehr und motiviert sie für die Therapie. Und zusammen mit meinem Spürsinn und gut angewendeter Methodik, um die Ursachen aus dem Unbewussten ins Bewusste zu holen, machen wir uns dann auf den Weg, um die erlittenen ‚biografischen Unfälle‘ und den entstandenen seelischen Schmerz mit seinem Symptomen nachträglich zu lindern…
Fazit: ein Mensch, der an Depressionen, Ängsten, Zwängen o.ä. leidet – auch wenn keine Ursache offensichtlich ist – hat auch immer einen oder mehrere gute Gründe dafür: es ist die Art seiner Psyche momentan über die dahinter unbewusst/verborgen liegenden ‚biografischen Unfälle‘ und Verletzungen zu sprechen‘…
Ein ‚manager human ressources‘ (Personalchef) sagte einmal zu mir: ‚Ein Burnout…das ist doch eigentlich nur eine verkappte Depression!‘
Ich habe dem Sub-Text dieser Aussage – ‚depressive Mitarbeiter sind tunlichst zu vermeiden!‘ – keine Beachtung geschenkt und stattdessen versucht, Licht in sein Dunkel zu bringen:
Richtig ist, dass ein Burnout irgendwann in eine Depression münden kann – und auch wird‚ wenn man den Betreffenden lange genug weitermachen lässt‘ und/oder er ‚lange genug aushält ‘. (Dass und wie es dazu kommt, beschreibe ich demnächst im Artikel ‚Psychische Erkrankungen und das Stresskontinuum‘)
Richtig ist auch, dass massive innere und äußere Konflikte oder tief-liegende Traumata Betroffene schneller oder langsamer in einen Burnout führen können – und somit eine larvierte (verdeckte) Depression vorliegen kann, die ein (Mit)Auslöser für die letztendlich auftretende komplette Erschöpfung sein kann.
Richtig ist auch, dass Ärzte und Patienten manchmal ‚Burnout‘ als gesellschaftlich besser akzeptierte Schutzdiagnose wählen – was ja auch Sinn macht, wenn man sich den Sub-Text des obig erwähnten Personalchefs mit den drohenden Konsequenzen für sich outende depressive Mitarbeiter noch einmal zu Gemüte führt…
Trotzdem heißt Burnout NICHT immer automatisch Depression!
Denn
gibt es auch andere Ursachen (über eine Depression hinaus), die Menschen in einen Burnout führen können: z.B. stets Anerkennung durch übertriebene Leistung erreichen zu wollen und andere apokalyptische Reiter des Burnout, Mobbing oder wiederholter, nicht zu bewältigender Mikro-Stress, mangelnde Anerkennung durch den Arbeitgeber, stetes Übergangen-werden bei Beförderung etc. Das heißt: wenn ein Mensch einen Burnout hat, kann es zwar sein, dass eine Depression vorliegt, es kann aber auch genauso gut sein, dass er keine Depression hat! Das zu entscheiden möge deswegen Fachleuten vorbehalten sein!
Wenn keine larvierte Depression vorliegt, kommt es erheblich darauf an, wie weit der Burnout-Prozess vorangeschritten ist: wird der Mensch sehr schnell wachgerüttelt oder kommt er selbst frühzeitig an dem Punkt, dass irgendetwas in seinem Leben ‚schief läuft‘, dann muss es nicht bis zu einer Depression oder deutlich einschränkenden Körpersymptomen kommen und eine anschließende Depression oder Panikstörung kann vermieden werden. Entscheidend ist also, an welchem Punkt des Burnout-Prozesses der Betroffene gerade angetroffen wird.
Werden viele Burnout-Patienten (glücklicherweise!) durch den Körper vor dem Abrutschen in die Depression (die dann oft auch noch das eigene Dasein infrage stellt) ausgeknockt: z.B. zwingen Panikattacken sie auszusteigen und zu reflektieren. Auch hier liegt somit noch (!) keine Depression vor und der Patient ist eher hyperaktiv als depressiv gelähmt.
Und selbst wenn eine Depression vorliegt (…um der Stigmatisierung noch einmal entgegen zu wirken): selbst wenn bei einem Menschen im Burnout-Geschehen eine Depression offensichtlich wird, hat er sie sich bestimmt nicht ausgesucht! Eine Depression ist immer (wenn keine tatsächliche oder angenommene körperliche Ursache dahinter steckt) eine Antwort auf das, was dem Menschen, der vor einem sitzt, in der Vergangenheit widerfahren ist oder in der Gegenwart gerade widerfährt – und damit niemals verwerflich und muss auch kein in Stein-gemeißeltes Schicksal á la ‚einmal Depression – immer Depression‘ sein!
…Und schon gar nichts sagt eine Depression über die generelle Leistungsfähigkeit eines Menschen im Arbeitsleben aus, wenn dieser die Depression überwunden hat und sich gut mit den Themen dahinter auseinander gesetzt, verändert und daraus gelernt hat…
ein Zustand ausgesprochener emotionaler Erschöpfung mit reduzierter Leistungsfähigkeit. Es kann als Endzustand einer Entwicklungslinie bezeichnet werden, die mit idealistischer Begeisterung beginnt und über frustrierende Erlebnisse zu Desillusionierung und Apathie, psychosomatischen Erkrankungen und Depression oder Aggressivität und einer erhöhten Suchtgefährdung führt. Das Burnout-Syndrom ist wissenschaftlich nicht als Krankheit anerkannt, sondern gilt im ICD-10 als ein Problem der Lebensbewältigung. Es handelt sich um eine körperliche, emotionale und geistige Erschöpfung aufgrund beruflicher oder anderweitiger Überlastung bei der Lebensbewältigung. Diese wird meist durch Stress ausgelöst, der wegen der verminderten Belastbarkeit nicht bewältigt werden kann.
Einst wurde das Auftreten eines Burnout-Syndroms rein arbeitsabhängig verstanden (und auch ursächlich durch die Arbeit). Inzwischen sind allerdings die Kontexte erweitert worden und es wird allgemeiner vom Zustand mit reduzierter Leistungsfähigkeit aufgrund beruflicher oder anderweitiger Überlastung gesprochen – denn Zustände mit emotionaler Erschöpfung und reduzierter Leistungsfähigkeit finden sich auch inzwischen bei Schülern, Hausfrauen, Langzeit-Arbeitssuchenden, Menschen, die sich im Privatleben beispielsweise durch Intensiv-Pflege von kranken Angehörigen erschöpfen und auch vielen anderen, die sich körperlich und emotional verausgaben und erschöpfen. Allerdings werden derartige Zustände natürlich immer noch schneller offensichtlich, wenn ein Mensch durch die reduzierte Leistungsfähigkeit eine Krankschreibung und einen Ausstieg aus dem Berufsleben benötigt – und dann auch eher akzeptiert!
Aufgrund der einstigen Beobachtung des Entdeckers des Syndroms im Arbeitskontext (Herbert Freudenberger, 1974) hält sich auch noch hartnäckig der Glaube, dass Menschen mit dem Testat ‚Burnout‘ halt einfach zuviel in Ihrem Job (mit anfänglicher Begeisterung und Über-Idealismus und anschließender zunehmender Frustration) geleistet haben und somit einzig ‚der Job schuld‘ am Auftreten des Burnouts ist… Gerne wird sich deswegen auch erst einmal der ‚Verdienstorden‘ bei der Diagnose ‚Burnout‘ angeheftet – und nichts verändert, außer ‚mal auszusteigen‘ – was aber nichts nützt (siehe unten)!
Denn ein Burnout-Syndrom kommt niemals nur vom Job allein!
Wenn man bei Menschen mit ‚wasch-echten‘ Burnout-Syndromen nach den Ursachen forscht, dann wird sehr schnell deutlich, dass sicherlich ca. 20% des Syndroms durch die ausgeübte Beschäftigung(sstruktur) mitverursacht wurden – aber 80% der Ursachen in begünstigenden Persönlichkeits- und Verhaltensmustern und vorangegangenen Erfahrungen oder Traumatisierungen oder einer persönlichen Verletzlichkeit und Anfälligkeit (Vulnerabilität) zu finden und zu verändern sind – (ArbeitgeberInnen aufgepasst: was gleichzeitig trotzdem bedeutet, dass Sie sich wegen Ihrer Mit-Beteiligung unbedingt ihrer Mit-Verantwortung stellen und handeln müssen!)
Dass dieses Prinzip – ein Burnout kommt nicht nur vom Job allein – zutreffend ist, lässt sich ganz einfach daran belegen, dass manche Kollegen mit demselben Job und denselben Arbeitsanforderungen ein Burnout-Syndrom entwickeln und andere eben nicht (die halt weniger oder keine begünstigenden Vorerfahrungen und Persönlichkeits- und Verhaltensmuster haben). Somit gibt es immer über die Arbeit hinaus reichende zusätzliche Ursachen, die die Zuspitzung in Richtung ‚Burnout‘ bei Betroffenen überhaupt ermöglichen.
Das mag nun für manche frustrierend zu lesen sein, da es doch ohne persönliche Ursachen reichen würde, den Job zu ändern, um ein erlittenes Burnout-Syndrom zu beenden und nachhaltig zu verhindern…(was nicht gelingt, wenn nicht an den persönlichen Ursachen gearbeitet wird: dann wartet im nächsten Job nämlich ruckzuck die nächste Erschöpfungskrise, weil ’schon wieder‘ der eigene Körper und die eigene Psyche übergangen wurden…)
Doch auch wenn es Sie nun wurmt zu lesen, dass Sie sich zusätzlich ‚selbst anschauen und verändern müssen‘: möchten Sie, dass ich Ihnen lieber Sand in die Augen streue und sage: ‚wechseln Sie Ihren Job und alles ist prima und hübsch‘ (und der nächsten ‚Burnout-Katastrophe‘ entgegenschippern) oder möchten Sie die Wahrheit und damit lieber dauerhaft vor Wiederholung geschützt werden?
Ich denke, ich liege richtig, dass Sie sich – wenn Sie ehrlich mit sich selbst sind (!) – für die zweite Möglichkeit entscheiden werden und sich lieber Ihrem kompletten Ursachen-Spektrum stellen möchten als immer und immer wieder dasselbe nochmal durchmachen zu müssen!
Denn nebenbei bemerkt: ein Burnout-Syndrom ist nur in den Anfangsphasen ein ‚Problem in der Lebensbewältigung‘. Dieses kann sich aber sehr schnell bei weiterem ‚Aushalten-Durchhalten-Klappe halten‘ zu einem massiv einschneidenden psychiatrischen Symptombild mit gravierenden Störungen und Verhaltensänderungen entwickeln, welches sich bei noch weiterem ‚Durchhalten‘ nicht selten bis hin zur latenten Suizidalität oder handfesten psychotischen Entgleisungen entwickeln kann – was dann übrigens auch in die Hände von Profis gehört und nicht mehr mit einfacher Lebensberatung oder einem Coaching abzuhaken ist – hier ist ärztliche Kontrolle und eine gute Psychotherapie nötig!
Also: Augen auf – hinschauen wollen – ehrlich mit sich selbst sein – bearbeiten – sich ändern – wieder aufstehen – vielleicht dann doch noch den Job wechseln und sich was passenderes suchen – und gesünder weiterlaufen!
Es ist endlich soweit: mein Burnout-Special folgt in den nächsten Wochen auf diesem Blog und ist gerade hoch-akut in der Entstehung!
Angefangen mit meiner Sicht auf die allseits herrschenden Kontroversen, ob denn nun Burnout tatsächlich vom Job kommt oder nicht und ob ein Burnout nur eine verkappte Depression ist oder nicht, möchte ich anschließend einen intensiven Einblick in die beruflichen und auch persönlichen Ursachen geben, die zum Burnout führen: ich werde über die wichtigsten beruflichen Energiekiller schreiben und über die – für mich deutlich bedeutenderen – apokalyptischen Reiter des Burnout.
Ebenso möchte ich mich auch der Burnout-Entstehung widmen – allerdings nur in Kurzform, da unheimlich viele Modelle bereits nieder geschrieben wurden und darüber inzwischen viel bekannt geworden ist.
Was mir weiterhin ein großes, wichtiges Anliegen sein wird, ist eine Übersicht über das Symptomspektrum zu geben und aufzuklären, was ein Burnout ist und was nicht. Denn inzwischen wird der Begriff ‚Burnout‘ doch sehr inflationär verwendet. Manchmal ist es richtig, manchmal aber auch nicht – hier möchte ich noch ein wenig mehr Klarheit schaffen!
Abschließend noch eine Betrachtung anhand der Arbeiten des von mir sehr bewunderten Aaron Antonovsky, der die Suche nach den Ursachen für Gesundheit (und in der Umkehr für Krankheit und auch drohendem Burnout) sehr einfach auf den Punkt gebracht hat. Lassen Sie sich überraschen und stellen Sie sich dann selbst auf die Probe, ob Sie dort richtig sind, wo Sie aktuell Ihre Brötchen jagen!
Sollten Sie hin und wieder selbst einmal darüber nachgedacht haben, ob Sie ein Burnout-Kandidat sind: ich verspreche Ihnen, Sie werden sich in dem Falle an der einen oder anderen Stelle garantiert wieder finden!
Ich freue mich also schon auf die einzelnen Veröffentlichungen und über Ihr fleißiges Mitlesen!
Der vorherige Artikel über die Gruppe Menschen, die sich nicht traut, auf ihre psychische Not aufmerksam zu machen und daher vielleicht sogar Suizid begeht, führt mich zu dem mächtigsten aller unangenehmen Gefühle: der Scham. Patienten die Scham zu nehmen, ist für gewöhnlich meine erste Aufgabe in der täglichen Praxis, wenn ein Patient neu zu mir kommt. Oft ist diese extrem stark und macht es dem Patienten zunächst unmöglich, sich mit den eigentlichen Themen hinter ihren Symptomen auseinander zu setzen.Aber warum ist Scham das am meisten ‚pathologische‘ Gefühl aller negativ erlebten Gefühle?
Während Gefühle wie Trauer, Wut, Aggression, Verachtung, Ekel, Angst etc. bereits massive Veränderungen im Erleben und im Verhalten der Patienten auslösen, ist Scham ein Gefühl, dass von seiner Wirkung her diesen noch weit überlegen ist: Unerlöst wirkt sie sich ‚hoch toxisch‘ auf die seelische Gesundheit aus. Wenn auch schon Trauer, Wut, Aggression, Verachtung, Ekel, Angst sehr verändernd wirken und auch Gefühle von Ohnmacht, Verzweiflung und Hilflosigkeit stark einschränkend sind: Scham führt die Liste der ungünstigen Gefühle bezüglich der ‚toxischen‘ Wirkung auf die Psyche an!
Um dies zu erklären, möchte ich für belastende Gefühle die dahinter verborgene Botschaft nennen:
So bedeutet z.B. aufkommende
Trauer: ‚mir ist etwas passiert, was ich nicht wollte…‘
Wut: ‚ich habe nicht das bekommen, was ich wollte…‘
Aggression: ‚ich muss mich gegen (…) wehren…‘
Angst: ‚ich muss hier weg!‘
Schuld: ‚ich habe etwas falsch gemacht…‘
Bei all diesen Gefühlen erkennt das Bewusstsein trotzdem jedoch, dass es potenziell noch Auswege gibt, die den Stress senken könnten:
Bei Trauer z.B.: ‚ich muss nächstes Mal verhindern, dass sich ähnliches wiederholt!‘
Bei Wut: ‚ich muss aufpassen, dass ich nächstes Mal ‚zu meinem Recht‘ komme!‘
Bei Aggression: ‚nächstes Mal werde ich mich (besser) wehren!‘
Bei Angst: ‚ich passe besser auf und vermeide es in Zukunft lieber!‘
Bei Schuld: ‚nächstes Mal mache ich es richtig (oder besser)!‘
Mit dem unbewussten Erkennen noch potenzieller Auswege entsteht trotz all dieser negativer Gefühle immer noch ein Funken Hoffnung, dass sich die Lage bald ändern bzw. bessern wird – und die Patienten spüren dies daran, dass es ihnen zwischendurch vorübergehend auch mal ein bisschen besser geht…
Bei Ohnmacht, Hilflosigkeit und Verzweifelung ist die ‚Pathogenität‘ schon höher:
Denn die dahinter liegenden Botschaften bedeuten:
Ohnmacht: ‚ich muss es ertragen, ohne mich wehren (oder fliehen) zu können!‘ oder ‚ich bin machtlos!‘
Verzweifelung: ‚es ist aussichtslos!‘ oder ‚es wird sich niemals ändern!‘
Hilflosigkeit: ‚es gibt keine Hilfe für mich!‘
Durch die unbewusste Einschätzung, dass es wohl aktuell keinen Ausweg aus der Situation gibt, entsteht Stillstand und Hoffnungslosigkeit. D. h. die Menschen verharren quasi und warten ab, ob sich die Situation irgendwie wieder bessert (…by the way: erinnert Sie das an eine Depression?…)
Aufkommende Scham setzt jedoch in puncto ‚Pathogenität‘ noch eins drauf:
Denn während bei Gefühlen von Trauer, Wut, Aggression usw. zumindest noch Aktionismus in irgendeiner Form stattfindet und Menschen mitunter in einem Zustand der Aussichts- und Hoffnungslosigkeit lange bewegungslos verharren können, setzt Scham dagegen eine Negativ-Spirale in Gang, die zusehends mehr die Identität, die Zugehörigkeit zu den Mitmenschen und die geglaubte Daseinsberechtigung der Betroffenen bedroht:
Denn die verborgene Botschaft hinter der Scham ist: ‚ICH bin falsch!‘ und signalisiert: ‚ändere Dich sofort!‘
Zwar ist die Fähigkeit Scham zu fühlen evolutiv sehr nützlich (führt sie doch dazu, sich in Gruppen durch das Wahrnehmen von persönlichen Schwächen und deren Veränderung besser anpassen zu können, um so einen potenziellen Ausschluss aus der Gruppe zu verhindern und weiterhin deren größeren ‚Überlebensvorteil‘ nutzen zu können), doch wird dieses Gefühl höchst schädlich, wenn eine Selbständerung nicht möglich ist:
Wenn sich nämlich die Scham-auslösenden Parameter der persönlichen oder bewussten Kontrolle entziehen – wie es bei psychischen Symptomen meistens der Fall ist – und der Mensch alleine schon für das bloße Vorhandensein solcher Parameter verurteilt wird (Stigmatisierung!), entwickelt sich eine charakteristische, höchst-ungünstige Gedanken-Spirale, die bis zu Suizid-Fantasien und -handlungen reichen kann.Denn das unbewusste Denken ändert sich dabei in etwa wie folgt:
Wenn ‚ich falsch bin‘ (…nicht genüge…) und mich nicht ändern kann, bin ich eine Belastung für die Gruppe… und wahrscheinlich auch für die ganze Welt…besser wäre, es gäbe mich nicht mehr…
Somit entstehen durch nicht auflösbare Gefühle von großer Scham starke innere Spannungen, die allmählich unerträglich werden:
Im fast günstigeren Fall kann diese Spannung dann noch durch zusätzliche ‚Übersprungs-Syndrome‘ reduziert werden: z.B. indem dann zu den bereits vorhandenen Symptomen noch ein Zwang oder Wahn oder eine Sucht entsteht und damit die Spannung pseudo-gelöst wird.
Im schwerwiegenden Fall entstehen jedoch Fantasien und Wünsche von ‚Selbstauflösung‘, um den nicht-lösbaren Scham-Konflikt zu beenden: d.h. es kommt zu passiven Todesfantasien, Todeswünschen, Todessehnsucht oder auch zu selbstschädigendem Verhalten oder aktiv suizidalen Handlungen.
Was bedeutet nun Stigmatisierung für Patienten mit psychischer Erkrankung?
Wenn psychische Erkrankungen oder Symptome stigmatisiert werden, dann fühlen sich Patienten ‚falsch‘ – es entsteht Scham. Die Scham lässt sich jedoch nicht abbauen, da sich psychische Symptome, wie z.B. Depressionen, Ängste, Zwänge etc. nicht (oder noch nicht) willentlich abstellen oder kontrollieren lassen. Somit sind diese Menschen ihrer Scham hilflos ausgeliefert: sie wirkt sich toxisch aus und leitet zu dem bereits vorhandenen Schwierigkeiten eine ungünstige Entwicklung ein – mit negativen bis potenziell tödlichen Konsequenzen!
Wir alle können also Verantwortung für betroffene Menschen übernehmen und ihnen helfen, dass sich die Lage zumindest nicht verschlimmert, indem wir ihnen Verständnis für ihre psychische Erkrankung entgegenbringen und unvoreingenommen Unterstützung anbieten!
Leider suizidieren sich weltweit immer noch zu viele Menschen. Für Hinterbliebene ist jeder Suizid sehr belastend. Denn immer bleibt neben der entstandenen Lücke durch das Fehlen des verstorbenen Menschen auch die Frage nach dem ‚warum hat er/sie das getan?‘ zurück.
Manchmal suizidieren sich Menschen, ohne dass das Umfeld vorher Hinweise bekommt, die ein Eingreifen und Hilfestellung vielleicht noch möglich gemacht hätte. Hier kommt dann zu der Frage nach dem ‚warum‘ auch noch die belastende Frage nach dem: ‚Warum hat er/sie nichts gesagt? Ich hätte doch helfen wollen/können!‘ hinzu.
Sicherlich haben Suizidenten ganz verschiedene Motive, warum sie sich das Leben nehmen und auf welche Art und Weise sie das tun. Und manche Suizidenten planen ihren Suizid absichtlich so, dass das Umfeld vorher keine Hinweise auf ihre Absichten bekommt –eben damit niemand sie davon abhalten kann.
Doch es gibt auch Suizidenten, die vorher Hinweise geben: Oft ‚nur leise‘, am Rande, unauffällig:
Wenn wir überlegen, warum dies wohl ‚nur leise‘, ‚am Rande‘, ‚unauffällig‘, ‚zaghaft‘ geschieht, finden wir sicherlich auch wieder verschiedene Motive:
Manchmal reicht vielleicht die Kraft bei diesen Menschen einfach nicht mehr aus, um ‚lauter‘ auf ihre drängenden Probleme aufmerksam zu machen. Manchmal könnte es so sein, dass sie sich von ihren schüchternen oder nur noch schwachen Hilferufen sowieso keine Hilfe mehr erhoffen, weil sie in der Vergangenheit genau diese Erfahrung gemacht und inzwischen resigniert haben….
Doch manchmal könnte es auch so sein, dass dieses ‚nur leise Hinweise geben‘ deswegen ‚leise‘ geschieht, weil die Suizidgefährdeten ‚Angst vor Zurückweisung‘, vor ‚belächelt-werden‘, vor ‚sowieso nicht ernst-genommen werden‘ haben…und um ihre eh schon als sehr verfahren erlebte Lage durch die befürchtete Gleichgültigkeit/das Unverständnis von Mitmenschen nicht noch schlimmer zu machen, versuchen sie eben nur ganz vorsichtig – eben leise! – auf ihre Lage und ihre Verzweifelung aufmerksam zu machen…
Was wäre wohl, wenn wir diesen Menschen – wie klein oder wie groß dieser Anteil auch immer sein mag – das Vertrauen geben könnten, nicht belächelt, nicht stigmatisiert und nicht abgewiesen, sondern ernst genommen und verstanden zu werden, sodass sie ihre Absichten ‚lauter‘ äußern könnten, um Hilfe zu bekommen?
Wie viele Suizide könnten wir in Zukunft wohl einfach dadurch verhindern, dass wir einen allgemein akzeptierten und verstandenen und hilfreichen Boden für psychisch Notleidende bieten?
Dies ist der wohl gewichtigste Grund, warum es absolut notwendig ist, jeden Menschen mit psychischen Erkrankungen und Symptomen ernst zu nehmen und zu verstehen und endlich die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen zu beenden! Abwertende Bemerkungen sollten stets unterbleiben und ALLE sollten sich bemühen, Betroffenen das Vertrauen zu geben, auch ‚laut‘ auf sich und ihre Probleme aufmerksam machen zu dürfen!
…denn denken Sie immer daran: Sie wissen nie, wer und wie viele ihrer Lieben sich aktuell ebenfalls nicht traut, ‚laut‘ nach Hilfe zu rufen und daher schamhaft schweigt!
Es ist ganz und gar nicht so, dass es die klassische Persönlichkeit gibt, die geboren wird, um dann eines Tages unweigerlich an einer Depression, Ängsten, Zwängen, wahnhaften Störungen o.ä. zu erkranken.
Natürlich kommen wir mit unterschiedlicher genetischer Ausstattung auf die Welt, so dass wir mehr oder weniger anfällig für Stress und psychische Störungen sind. Dennoch bestimmt im großen Maße das, was wir nach unserer Geburt im Leben erleben, ob es zu psychischen Erkrankungen kommt oder eben nicht. Dieses Arbeits-Modell bezeichnet man auch als Vulnerabilitäts-Stress-Modell (übersetzt Anfälligkeits-Stress-Modell): Ist jemand von Geburt an durch seine Gene vulnerabler (anfälliger), wird er demnach eher oder schneller an einer psychischen Störung erkranken als jemand, der weniger anfällig ist.
Heißt das nun, dass nur die von Geburt an stress-anfälligeren Menschen eine psychische Störung entwickeln können und die anderen ‚damit raus‘ sind?
Nein! Denn es kann genauso jemanden treffen, der mit geringerer Anfälligkeit auf die Welt gekommen ist: Auch dieser kann an einer Depression oder wahnhaften Störung oder Ängsten, Zwängen, psychotischer Entgleisung o.ä. erkranken, denn
gibt es prinzipiell die Möglichkeit im Laufe eines Lebens eine körperliche Störung zu entwickeln, die dann psychiatrische Symptome nach sich zieht: Solche körperlichen Ursachen können z.B. eine organische Funktionsstörung (z.B. der Leber oder Niere) sein, eine Verletzung des Gehirns (z.B. durch ein Schädel-Hirn-Trauma), eine latente Vergiftung durch toxische Substanzen (z.B. überhöhter Alkoholkonsum), Vitaminmangelzustände oder hormonelle Entgleisungen. Wenn diese Ursache durch einen Arzt erkannt und behoben wird, bessert sich die psychische Störung in der Regel jedoch wieder rasch. Und
kann es sogar Menschen treffen, die körperlich völlig fit sind, noch niemals zuvor an einer psychischen Erkrankung gelitten haben und von Geburt an weniger anfällig für Stress sind (und ein recht stressarmes Leben geführt haben): Entscheidend ist einfach, was und wieviel im Leben dieses Menschen plötzlich passiert oder auf einmal wegbricht und wie stark diese Ereignisse die Person durchschütteln und in seiner Existenz und Persönlichkeit bedrohen!
Der Grund für diese allgemeine Anfälligkeit eines Menschen für psychiatrische Symptome liegt darin, dass unser Gehirn universellen Stress-Antwort-Mustern unterliegt, denen sich kein Mensch entziehen kann: plötzlicher Extremstress (wie durch ein traumatisches Erlebnis) oder genauso auch lange Zeit moderater ‚unlösbarer und unabänderlicher‘ Stress mit Ohnmachtsgefühlen, der sich addiert, wirken beide sehr schädlich auf das Gehirn und verändern die Gehirn-chemischen Abläufe in spezifischer Weise. Die Folgen davon sind zunächst verändertes Verhalten, Fühlen und Erleben und bei unverändert anhaltendem Stress sogar die Entwicklung einer psychischen Störung.
Dazu ein fiktives Beispiel, wie es zu einer solchen Entwicklung kommen könnte:
Ein kerngesunder Mann, der recht entspannt durch Kindheit und Jugend gekommen ist und immer sehr gelassen war, glücklich in einer Beziehung mit der Liebe seines Lebens lebt und ein 10jähriges Kind und eine gute Arbeitsstelle hat, möge mit seiner Familie eines Tages auf einen Ausflug fahren. Plötzlich – aus unerklärlichen Gründen – kommt er als Fahrer des Wagens von der Fahrbahn ab und fährt gegen einen Baum. Durch diesen Unfall sterben seine Frau und sein Kind und er überlebt – allerdings querschnittsgelähmt. Dadurch ist er fortan auch nicht mehr in der Lage, seinen ehemaligen Job auszuüben…
Was glauben Sie, wie lange wird es brauchen, bis dieser Mann Symptome einer Depression (‚eines dauerhaften Bedrückt-sein‘) zeigen würde? Und würden Sie es nachvollziehen können, wenn er Ihnen dann sagen würde, er sehe überhaupt keinen Sinn mehr in seinem Leben?? Wahrscheinlich würden Sie mit ihm mitfühlen und sofort verstehen, dass der Autounfall bei diesem Mann einen gravierenden ‚Unfall an seiner Psyche‘ mit sich gebracht hat, der nun in Form einer Depression sichtbar wird…
Zugegeben: dies ist sicherlich ein extremes Beispiel, wie ein Mensch plötzlich z.B. in eine Depression geraten kann, aber solche Dinge passieren…
Für den einen muss halt erst sehr viel passieren, bis es zu derartigen Symptomen kommt (‚es muss halt sehr dick kommen‘), bei anderen, die schon mehr gelitten haben im Leben und dies (noch) nicht verarbeitet haben (‚dessen Rucksack voll ist‘), reichen manchmal auch schon geringere Anlässe. Wenn ein Mensch (ohne körperliche Ursache) jedoch psychiatrische Symptome entwickelt, dann gibt es auch immer ‚gute Gründe‘ hinter den Symptomen – auch wenn die Betroffenen selbst den dahinter liegenden Gründen oft über ihre Sprache noch keinen Ausdruck verleihen können!
Wichtig ist hier festzuhalten: frei von Depressionen, Ängsten, Zwanghaftigkeiten o.ä. zu sein, ist keine Garantie dafür, dass es auch so bleiben wird – und wenn dies ‚nur‘ eines Tages durch eine organische Fehlfunktion ausgelöst sein kann!
Darum: niemand werfe den ersten Stein und verurteile Menschen mit Symptomen einer psychischen Störung – denn wahrscheinlich kennen Sie nicht die ganze Geschichte dahinter. Und wie schon bemerkt: sogar Sie könnten unverhofft betroffen sein und werden sich dann sicher auch Verständnis wünschen!